Nordsyrien seit vier Jahren besetzt (9.10.):
Unzählige Menschenrechtsverletzungen während und nach der türkischen Invasion
Bundesregierung steht weiter fest an der Seite des Aggressors
Minderheiten lernen: auf die NATO ist kein Verlass
Auch vier Jahre nach dem völkerrechtswidrigen Angriff des NATO-Mitglieds Türkei auf Nordsyrien am 9. Oktober 2019 ignoriert die deutsche Bundesregierung das Schicksal der kurdischen und anderen Minderheiten in Nordsyrien. Der Regierungswechsel zur sogenannten Ampelkoalition hat daran nichts geändert: „Die Bundesregierung steht politisch, diplomatisch und finanziell fest an der Seite des Aggressors Türkei. Sämtliche Appelle und Aufforderungen, die völkerrechtswidrige Aggression zu verurteilen und einen Rückzug der Besatzungstruppen zu fordern, sind verhallt“, kritisiert Dr. Kamal Sido, Nahostexperte der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV). „Diese Haltung schadet dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland, der NATO und des Westens insgesamt. Sie nützt autoritären Staaten wie Russland oder China, die Staaten des globalen Südens auf ihre Seite ziehen wollen und universelle Menschenrechte ablehnen.“
Während und infolge der türkischen Invasion mit dem Namen „Quelle des Friedens“ haben türkische Truppen und ihre syrischen islamistischen Söldner die von den Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) kontrollierten Gebiete Serekaniye (arabisch: Ras al Ain) und Tall Abyad besetzt und hunderttausende Menschen vertrieben. Sie begingen dabei unzählige Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung. „Von den 50.000 kurdischen Einwohnern der Stadt Ras al Ain sind weniger als 100 geblieben, darunter nur einige wenige yezidischen Glaubens. Von der armenischen Bevölkerung sind noch zwei, von der aramäischen fünf bis zehn Personen dort. Alle sind ältere Menschen“, berichtet Sido. „Das Wasserwerk Alok in Ras al Ain, das rund 1,5 Millionen Menschen im Nordosten Syriens mit Trinkwasser versorgt, setzt die Türkei immer wieder als Waffe ein: Besonders der multiethnischen und multireligiösen Stadt Hasakeh wird immer wieder wird der Hahn zugedreht.“
Der türkische Einmarsch „Quelle des Friedens“ war nur möglich, weil die USA unter Donald Trump plötzlich ihre dort stationierten Truppen abzogen und damit dem NATO-Partner Türkei das Startsignal für Angriffe gaben. „Die Erfahrungen mit Bergkarabach zeigen, dass sich kurdische oder armenische Minderheiten weder auf Russland noch auf die NATO verlassen können“, resümiert Sido. „Deutschland und die NATO reden nur von Demokratie und Menschenrechten, wenn es ihren geopolitischen Interessen dient. Diesen Satz habe ich während meiner Reise durch Kurdistan, Irak und Syrien im April dieses Jahres von vielen Angehörigen der dort lebenden Minderheiten immer wieder gehört.“
Anlässlich des vierten Jahrestages der türkischen Angriffe besucht eine Delegation syrischer Kurden das Bundesbüro der GfbV in Göttingen. Es sind Menschen, die von der Türkei 2018 aus Afrin bzw. 2019 aus Ras al Ain vertrieben wurden.